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Bereiten Sie mich auf die Ankunft eines Vierbeiners vor?


St. Stephan | 29. Juli 2021

Der Hund, der beste Freund des Menschen. Doch weiss der Mensch, wie viel Verantwortung dieses Haustier mit sich bringt? Diese Zeitung hat sich bei den langjährigen Züchtern und Hundekursleitern erkundigt: Renata und Hanspeter Ziörjen geben Tipps für eine artgerechte Haltung. Und nennen die grössten Tabus.

Renata und Hanspeter Ziörjen, Gründer der Hundeschule St. Stephan, mit JZ-Redaktionshund Ayumi.

Renata und Hanspeter Ziörjen, Gründer der Hundeschule St. Stephan, mit JZ-Redaktionshund Ayumi.Fotos: Jocelyne Page

Die Vorstellung davon, täglich einen vierbeinigen Begleiter bei sich zu haben, ist wunderschön. Die Realität entpuppt sich allerdings oft als weniger romantisch: Statt Spiel, Ruhe und Kuschelstunden gibt es Raufereien, Bellen und Kratzspuren. Ein Befehl wird ignoriert, der Lieblingsschuh zerkaut. Klar, der Hundeblick beschwichtigt. Doch die Nerven verlieren, wäre eine natürliche Reaktion – und die falsche und folgenreichste.

Sich Tipps bei erfahrenen Hundebesitzerinnen und -besitzern zu holen, ist deshalb empfehlenswert. Eine Anlaufstelle im Berner Oberland befindet sich bei Matten in St. Stephan: Das Ehepaar Renata und Hanspeter Ziörjen führen eine Hundeschule für verschiedene Anspruchsgruppen. Neben Welpen- und Junghundetrainings bieten sie unter anderem abwechslungsreiche Hundeworkshops an. Die Hundeleiter haben aber nicht nur in der Erziehung viel Erfahrung, sondern auch in der Aufzucht: Seit 1983 haben sie verschiedene Rassen gezüchtet, so belgische Schäferhunde, Zwerg- und Mittelschnauzer.

Hanspeter Ziörjen beim Training mit Ayumi auf dem Hundeschulareal.

Hanspeter Ziörjen beim Training mit Ayumi auf dem Hundeschulareal.

Die Motivation, selbst eine Hundeschule zu eröffnen, fand das Ehepaar in der Not. «Wir haben an Welpenschulen teilgenommen, bei denen nur mit Druck auf die Hunde gearbeitet wurde, das ging uns gegen den Strich», erzählt Hanspeter. Eine langjährige Freundschaft brachte den Stein ins Rollen, nämlich die mit André Känel – ausgebildeter Hundetrainer, Dozent der Akademie für Tiernaturheilkunde (ATN) und Gründer der Hundeschulen Natulity. Die Philosophie seiner Lernmethode: Die Erziehung des Hundes beginnt nicht am vorderen, sondern am hinteren Ende der Leine. «Ich habe mehrere seiner Seminare besucht und habe mich auch privat viel mit ihm ausgetauscht. Die Art und Weise, wie er Hunde erzieht, hat uns beide angesprochen, weshalb wir unser Wissen weitergeben wollten», so Hanspeter, blickt zu Renata, die nickt.

Doch was macht eine gute Hundehalterin und einen guten Hundehalter aus? Welche Befehle sollten im täglichen Hunde-Einmaleins von Beginn an trainiert werden? Und bin ich überhaupt bereit für einen Hund? Diesen und anderen Fragen haben sich Renata und Hanspeter Ziörjen gestellt – und beantwortet.

Die vier Monate alte Shiba-Inu-Hündin ist ein neugieriger Vierbeiner.

Die vier Monate alte Shiba-Inu-Hündin ist ein neugieriger Vierbeiner.

Die Hundeauswahl

Welche Bedürfnisse habe ich, welchen Lebensstil pflege ich – und hat ein Hund Platz in meinem Leben? Diese Fragen seien zentral, bevor man überhaupt an die Anschaffung eines Hundes denken sollte, sagt das Ehepaar Ziörjen. Ein laufstarker Vierbeiner sollte in keinen faulen Haushalt kommen, ein kleines Hündchen zu keiner Sportlerfamilie. Und für Hanspeter noch viel wichtiger: Aussehen ist nicht alles. «Wenn Ihnen ein Hund gefällt, googeln Sie erst einmal die Eigenschaften: Charakter, Fitness, Zucht, Erbkrankheiten. Wenn Sie vieles nicht anspricht, rate ich vom Kauf dieser Rasse ab. Denn sie werden dem Tier nicht gerecht, sie werden beide unglücklich, und es ist keine artgerechte Haltung vorhanden.» Jede zukünftige Hundehalterin und Hundehalter müsse sich bewusst sein, welchen Zeitaufwand, welche Kosten und auch Einschränkungen ein Hund zur Folge haben könne, sagt Renata. «Ein Hund ist kein Spielzeug, sondern eine grosse Verantwortung», ergänzt Hanspeter.

Training mit feinen Leckerlis.

Training mit feinen Leckerlis.

Warten soll geübt sein.

Warten soll geübt sein.

Entspreche die Beschreibung einer Rasse dem eigenen Lebensstil und Vorstellungen eines Hundes, so komme der nächste Schritt: die Suche einer Zucht. «Wenn die Züchterin oder der Züchter Sie gar nicht erst das Gelände und das Muttertier besuchen lässt, sondern Ihnen per Telefon oder Mail direkt ein Welpe zusichert, sollten die Alarmglocken klingeln», führt Hanspeter aus. Nur eine verantwortungsvolle Züchterin oder Züchter wolle die Menschen persönlich kennenlernen, um sicherzugehen, dass ihr eigener Schützling in gute Hände komme. Ein weiterer Hinweis: Die Zuchtstätte sei von einem offiziellen Hundeverband anerkannt. «Sie werden streng von den Zuchtkommissionen kontrolliert, ob die Haltung und Aufzucht tierschutzgerecht abläuft und keine Überzüchtung stattfindet.»

Auf dem Boden kriechen: Ayumi übt mit Hanspeter Ziörjen.

Auf dem Boden kriechen: Ayumi übt mit Hanspeter Ziörjen.

Der Einzug

Nachdem der Faktencheck beendet und der Entscheid gefallen ist, sich einen eigenen Vierbeiner ins Haus zu holen, empfiehlt Renata zwei bis drei Wochen Ferien aufzuwenden. «Es ist gut für die Bindung zwischen Hund und Mensch, man hat das Tier schnell stubenrein und kann es schneller an den Alltag gewöhnen, ohne dass sich Marotten verfestigen. Denn man hat Zeit und ist aufmerksam, um Fehlverhalten zu korrigieren.» Hanspeter stimmt ihr zu. «Das kleine Fellknäuel hat gerade seine Mutter, seine Geschwister und sein bekanntes Umfeld verlassen, sitzt ohne sie im Auto und wird ohne sie die erste Nacht verbringen. Dass da Heimweh aufkommt, ist ganz normal. Deshalb muss der neue Besitzer dem Welpen viel Schutz, Aufmerksamkeit und Liebe geben, damit es sich eingewöhnen und wohlfühlen kann.»

Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei einer Welpenstunde in St. Stephan.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei einer Welpenstunde in St. Stephan.

Die häufige Fehlerquelle, die er beobachte, sei die Erwartungshaltung der Besitzer. «Kaum haben die Leute den Hund abgeholt, haben sie eine Erwartung an den Hund. Vielmehr sollten sie lernen, ihren Hund zu lesen, damit eine vertrauensvolle Beziehung entsteht.»

Das Welpentraining

Womit wir beim Training angelangt sind. Das Wort «Training» betont Hanspeter. «Wir haben eine Hundelernstunde, keine Spielstunde. Wir müssen den Hund nicht lehren zu spielen, das kann er ohne uns. Vielmehr müssen wir ihm beibringen, Ruhe zu bewahren und bei grosser Ablenkung zu gehorchen», erläutert Hanspeter. Bei der Auswahl der Hundeschule empfiehlt er, erst einmal reinzuschnuppern, um sich sicher mit dem Kursleiter und seinem Vorgehen zu fühlen. «Es gibt viele selbsternannte Hundetrainer, die eher Schaden anrichten können. Deshalb nicht den Erstbesten nehmen, sondern sich zuerst schlau machen.»

Auf dem Platz der Ziörjens gilt die oberste Regel: Geduld bewahren. «Wenn wir Druck auf den Hund aufsetzen, erreichen wir wenig oder lösen ungewolltes Verhalten aus. Indem wir aber geduldig bleiben und darauf vertrauen, dass unser Hund unsere Befehle versteht, entsteht eine Beziehung und keine Hierarchie», erklärt Hanspeter. Die Leute sollen Freude und Spass empfinden, wenn sie mit ihrem Vierbeiner trainieren.

Das Trainingsareal der Hundeschule St. Stephan.

Das Trainingsareal der Hundeschule St. Stephan.

Ganz nach ihrem Natulity-Motto «Die Erziehung des Hundes beginnt nicht am vorderen, sondern am hinteren Ende der Leine», schauen Hanspeter und Renata Ziörjen während der Welpenschule genau auf die Körpersprache der Hundebesitzer und geben Tipps. «Wir müssen offen und vertrauenswürdig kommunizieren, unseren Körper richtig einsetzen. Wenn wir einladend auf einen Hund wirken, wird er auch eher zurückkommen, als wenn wir aggressiv dastehen», so Hanspeter.

Das Ehepaar Ziörjen hilft Hundehaltern seit vielen Jahren beim Training und der Erziehung der Vierbeiner.

Das Ehepaar Ziörjen hilft Hundehaltern seit vielen Jahren beim Training und der Erziehung der Vierbeiner.

Dran bleiben und Geduld bewahren

Bis ein Kind reif genug sei, um den Kindergarten zu besuchen, dauere es rund sieben Jahre; bis es die Schulzeit, die Lehre und die Rekrutenschule absolviert habe, braucht es weitere 14, meint Hanspeter. Der Hund benötige dafür lediglich drei Jahre. Das bedeute, dass der Hund diesen Reife- und Lernprozess siebenmal schneller durchlebe als ein Menschenkind. «Um dieser schnellen Entwicklung gerecht zu werden, müssen wir Geduld bewahren. Haben wir diese nicht, können wir alles verteufeln.» Er empfehle eine klare, konsequente Linie. Was der Hund das eine Mal nicht darf oder soll, gelte auch für die vielen anderen Male.

Hanspeter Ziörjen legt für Ayumi eine Fährte mit Leckerlis.

Hanspeter Ziörjen legt für Ayumi eine Fährte mit Leckerlis.

Ein guter Rückruf ist alles

Sitz, Platz, Bleib – alles sinnvolle Befehle. Doch es gebe den einen Befehl, der von der ersten Minute an trainiert und sich schnell etablieren sollte, so Hanspeter: ein zuverlässiger Rückruf. «In mehr als 80 Prozent der Fälle muss der Hund auf Befehl zurückkommen, denn in prekären Situationen rettet dies Leben. Der Hund gerät beispielsweise nicht unter das Auto, der Lenker muss kein Ausweichmanöver machen.» Dies sei ein extremes Beispiel, doch damit müsse ein Hundehalter jeder Zeit rechnen.

Der Riechtest: Hanspeter Ziörjen versteckt Leckerlis unter den Blumentöpfen – Ayumi muss sie finden.

Der Riechtest: Hanspeter Ziörjen versteckt Leckerlis unter den Blumentöpfen – Ayumi muss sie finden.

Immer loben

Trifft die Situation nun ein, dass der Hund trotz Leine ausreisst und davonrennt, ist Ruhe und nicht Panik angesagt. Der «perfekte Rückruf» kommt zum Zug, doch wie Hanspeter sagt, funktioniert auch dieser nicht immer auf Anhieb. Nach nervenaufreibenden Minuten rast der Hund zu einem zurück. Die innerlichen Emotionen kochen hoch, man ist sauer und wütend – und nun? «Loben», meint Hanspeter. Auch, wenn es schwerfalle. Ein Rüffel könne folgenschwere Konsequenzen nach sich ziehen. Er erklärt: «Hunde haben ein gutes Gedächtnis. Wenn sie Lob erhalten, werden sie sich positiv an die Rückkehr erinnern und folglich immer Freude haben, beim Rückruf zum Frauchen oder Herrchen zu laufen. Schimpfen wir mit ihnen, verknüpfen sie den Rückruf mit einem negativen Ereignis und werden beim nächsten Mal nicht mehr zurückkommen, weil sie Angst haben.»

Mit der Schnauze stupst Ayumi die Töpfe nieder, um an das Leckerli zu gelangen.

Mit der Schnauze stupst Ayumi die Töpfe nieder, um an das Leckerli zu gelangen.

Kondition ist nicht alles

Ein grosser Irrtum bei Hundehaltern sei das lange Gassigehen. «Klar, der Hund braucht eine gewisse Grundkondition und genügend Auslauf. Doch reines Laufen gehen wird sie mental nicht auslasten», sagt Hanspeter. Er empfiehlt deshalb genügend «Kopfübungen», beispielsweise kleine Leckerli-Suchspiele beim Spaziergang integrieren und auch immer wieder kleine Übungen durchführen, besonders draussen, wenn die Ablenkung gross ist. «Erst da zeigt sich, ob die Befehle sitzen.»

Alles, was ablenkt und Lärm macht: Während die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit ihren Vierbeinern trainieren, laufen Renata und Hanspeter Ziörjen vorbei und versuchen, eine grosse Geräuschkulisse zu produzieren. Lässt sich der Hund nicht ablenken, hat er den Test bestanden.

Alles, was ablenkt und Lärm macht: Während die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit ihren Vierbeinern trainieren, laufen Renata und Hanspeter Ziörjen vorbei und versuchen, eine grosse Geräuschkulisse zu produzieren. Lässt sich der Hund nicht ablenken, hat er den Test bestanden.

Hunde müssen sich nicht immer begrüssen

Und zuletzt, der zweite grosse Irrtum: Begrüssung von Hunden. «Viele Leute haben das Gefühl, dass sich die Hunde beim Kreuzen immer begrüssen und beschnüffeln müssen, das ist falsch und kann böse enden», sagt Hanspeter. Die Hunde könnten einander angreifen, weil sie keine Sympathien füreinander hegen. «Deshalb immer auf der unaufgeregten Seite vorbeiführen und den eigenen Hund nur mit Artgenossen spielen lassen, die er bereits kennt und mag.»

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Author: Anthony Myers

Last Updated: 1702992841

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Name: Anthony Myers

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